aparter Alpenbewohner

Ich hab weiss gepunktete Finger, leuchtend Armdecken und ein graues Cape – kennst Du mich?

Zu Hause fühl’ ich mich im Gebirge, steilabfallende Felsen sind mein zu Hause. Sonnenbaden gehört zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, wenn ich nicht gerade Futter suche, mich putze oder ein Päuschen mache. Erraten?

Gemeint ist der unverkennbare Mauerläufer, ein gleichermassen wunderschöner wie seltener Vogel.

In Vogelführern wird bisweilen recht präzise verraten, wo man hinfahren soll, um ihn – ohne Garantie natürlich – zu Gesicht zu bekommen. Und so ist es auch: Die Natur hat ihre eigenen Gesetze und nur weil wir extra früh und exakt an der angegebenen Stelle ergeben warten, fühlt sich so ein Vogel keineswegs verpflichtet uns seine Aufwartung zu machen.

So warte ich schon seit Jahren darauf einmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und gestern also war es dann – völlig unerwarteter Weise – so weit.

Der erste Schnee liegt bereits, die Luft ist kühl und laut rauscht der Aval Val Mingér hinunter Richtung Clemgia, die schliesslich in den Inn fliesst. Das Wasser selbst gestaltet diese wilde Flusslandschaft zu fantastischen, immer neuen Formationen. So beachte ich, trotz Feldstecher um den Hals, wenig die Felswände zu meiner Linken, sondern staune über die Lebendigkeit & Schönheit dieser Landschaft, die Farbkontraste, das veränderliche Licht an diesem Morgen.

Doch da! Im Augenwinkel flattert etwas auf. Instinktiv greife ich nach meiner Sehhilfe. Und verharre wie vom Blitz getroffen. “Wer einen Mauerläufer entdeckt, der flatternd an einer Felswand emporklettert, ist von seiner Schönheit entzückt” (@ Schweizerische Vogelwarte). So geht es mir, während ich jede Sekunde geniesse, das  apartes Gefieder “meines” Weibchens, ihren leicht gekrümmten langen Schnabel und ihre langen Zehen zu betrachten.

Die Akrobatin vollführt ihre Kletterkünste und demonstriert, wie einfach sie auch überhängende Felsen meistert, die kleinste Spalte zu nutzen weiss. Dieses schwierige Terrain beherrscht der Mauerläufer vollkommen, genauso wie er Thermikschläuche zum raschen Aufsteigen in höhere Lagen zu nutzen vermag. Kein Wunder ist dieser Felsenbrüter vor allem Alpinisten wohlbekannt.

Noch Stunden hält mein Grinsen an, über diese unvergessliche erste Begegnung mit einem Mauerläufer. Verzaubert, voller Bilder und Impressionen in meinem Kopf, verlasse ich das Engadin. Ich komme bald wieder.

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