Doppelwesen

Gestern auf einem Felsen präsentierte sich dieses Bild…Während ich in die Knie sankt, um diese unglaublichen Farben und Wuchsformen auf so kargem Untergrund zu betrachten, verwandelte ich mich in ein winziges Insekt. Unter diesen Schatten spendenden Schirmen und bizzaren Säulen fühlte ich mich geborgen und ungestört.

So habe ich dieses seltsame graugrüne Gewächs gefragt, wer es denn sei. “Eine Flechte” antwortete es schlicht und ich war ratlos. “Was ist das denn?”. Es erwiderte ausführlicher: “Was Du äusserlich an mir wahrnimmst ist meine eine Seite, der Pilzkörper, aus dem ich zum Teil bestehe. Innerlich aber gehört auch eine Grünalge zu mir, mit der ich ganz eng verflochten bin. Sie sorgt für unseren Energiehaushalt und produziert Zucker. Meine Pilzzellen dagegen bestellen unseren Wasserhaushalt. Zusammen sind wir eins, sozusagen.” “Jetzt verstehe ich, deshalb nennt man Dich also Flechte!”.

Einem St. Galler Forscher ist es  im 19. Jahrhundert, als Verdienst seiner Doktorarbeit, gelungen, dieses Doppelwesen Flechte als erster zu entschlüsseln. Statt Ehre und Ruhm musste sich Simon Schwendener jedoch Widerstand und Häme von den Lichenologen seiner Zeit gefallen lassen.

Heute ist es anerkannt: Zusammen bilden Grünalge (manchmal stattdessen auch sogenannte Cynobakterien, ebenfalls zur Photosynthese fähige Blaualgen)  und Pilz diese faszinierende Lebensgemeinschaft. Unglaublich langsam nur wachsen Flechten, dafür in den abgelegentsten Gebieten, auf den kargsten Untergründen und können Tausende Jahre überdauern. Sie sind empfindlich gegenüber Luftverschmutzung und können sowohl Schwermetalle als auch radioaktive Substanzen anreichern. Deshalb gelten sie als Bioindikatoren. Und darüber hinaus haben Menschen sie schon früh eingesetzt, als Medizin gegen allerlei Leiden (wie z.B. das isländische Moos), als Pflanzenfarbstoff Lackmus oder aber zum Beispiel auch in der Parfümindustrie. Eine faszinierdende eigene Welt, in die abzutauchen sich lohnt!

 

 

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