Ein Stachelschwein in Frankreich

Stachelschwein © P. SchuetzWie ein sonderliches Tier an den königlichen Hof gelangte.    In Blois (F) an der Loire gibt es ein grossartiges Schloss. An seiner Fassade, sticht einem an prominenter Stelle unter einem Reiterstandbild von Ludwig dem XII., König von Frankreich zwischen 1498–1515, dieses Tier ins Auge. So augenfällig platziert kann es sich nicht um Schabernack eines Steinmetzes handeln. Und spätestens im Schloss selber, wo an Fenster und Wänden oder als Verzierung auf einem der vielen Kamine immer wieder ein Stachelschwein zu finden ist, fragt man sich irritiert: Wie kam Ludwig XII., sich ausgerechnet dieses exotische Nagetier, dass er möglicherweise nie mit eigenen Augen gesehen hat, als Wappentier auszusuchen?

Tatsächlich ist die Familie der Stachelschweine, die gerade mal 5 Gattungen umfasst, hauptsächlich in Asien und Afrika, in tropischen und subtropischen Gebieten, verbreitet. Auf dem europäischen Kontinent beschränken sich Vorkommen von Stachelschweinen auf Italien, besonders die Toskana. Hystrix cristata, das gewöhnliches Stachelschwein, kam wohl über das Mittelmeer hierher. Fossilien belegen, dass es wohl schon im späten Pleistozän, also vor mehr als 10‘000 Jahren, Stachelschweine in Italien gab.

In Italien dagegen steigt die Populationsdichte gegenwärtig auf dem Festland wie auch auf Sizilien und seine Verbreitung nach Norden nimmt weiter zu. Zwar wurden Stachelschweine auf dem Antiatlas in Marokko bis auf 2550m ü. M. gesichtet. Das Überwinden der Alpen und Einwandern nach Frankreich allerdings dürfte dem Stachelschwein trotz Klimaveränderung auch heute aus eigener Kraft kaum gelingen.

In seiner ursprünglichen Heimat Afrika wird das Stachelschwein wegen seines Fleisches und seiner Stacheln trotz striktem Schutz durch die Berner Konvention nach wie vor bejagt. Und im ländlichen Gebiet kommt es offenbar immer noch vor, dass die für ihre Nahrungssuche und ihre Baue grabendenden und damit Schäden verursachenden Stachelschweine durch Köder vergiftet werden. Zwar gilt das Stachelschwein nicht als gefährdet, die Bestände gehen aber auf dem schwarzen Kontinent aktuell eher zurück.

Zurück zu Ludwig XII.: Als Wappentier ist das Stacheltier eine überaus kluge Wahl. Es ist sehr auffällig und einprägsam, sehr wehrhaft und kennt kaum natürliche Feinde. Selbst im Rudel jagende Tiere wie Löwen oder Hyänen schaffen es kaum Stachelschweine zu überwältigen. Das Gerücht, dass Stachelschweine ihre namensgebende Körperbedeckung gezielt abschiessen können, stimmt zwar nicht. Aber bei Gefahr kann es seine Stacheln aufstellen und stürmt so rückwärts auf seinen Feind zu. Weil die Stacheln leicht abbrechen und ihre Widerhaken im Fleisch der Angreifer hängen bleiben, ist eine solche Begegnung immer sehr schmerzhaft.

Diese Eigenschaften gefielen wohl schon seinem Vater, Ludwig von Valois, gleichzeitig Herzog von Orléans und Graf von Angoulême. Er gründete den gleichnamigen weltlichen Ritterorden Ordre du Porc épic, dessen Mitglieder sich schon mit diesem Wappentier als Anhänger ihrer Halskette und Ring-Emblem schmückten.

Die viel gereisten, nach noch besseren Alliancen strebenden und hierfür oft in ferne Häuser einheiratenden Adeligen, hatten bereits im 14. Jahrhundert Vorstellungen der exotischen Tier- und Pflanzenwelt ausserhalb ihrer eigenen Ländereien. In Form von Raritätensammlungen und Wunderkammern wurde es viel später sehr en vogue solcherlei Exponate für einen erlesenen Kreis von Gästen zu sammeln, um sie damit zu beeindrucken. Diese Sammlungen gelten als Vorläufer der heutigen Naturmuseen. Ob je ein Stachelschwein in einer solchen Privatausstellung Eingang gefunden hat? Oder war es doch eine Reiseerinnerung? Nicht auszuschliessen, dass es vielleicht gar Valentina Visconti aus Mailand, die erste Gemahlin des Ludwigs von Valois, war, die ihm von diesem sonderlichen, aber so eindrucksvollen Tier erzählt…

 

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