Tigersnack

Gestern im Zoo konnte ich einem Tiger bei der Zwischenverpflegung zusehen. Es gab «poulet entier», will heissen Huhn mit Haut und Federn. In der Zoo-Biologie gibt es ein ganzes Feld, das sich «environmental enrichment» nennt und mit artgerechter Gehege-Gestaltung auseinandersetzt. Im weiteren Sinn auch mit Ernährung: wo, wann, wie Futter einem Zootier angeboten wird. Ein «poulet entier»  ist für einen Tiger eine echte kulinarische Aufgabe, wie ich erleben sollte.

Jeder, dem ein jagender Haustiger bereits ein Mal ein Vögelchen apportiert hat oder der den Schauplatz des Verzehrs einen solchen durch Pussycat später aufgesucht hat, kennt das Bild: ein Meer von abgerissenen Federn , unschwer an der zerfransten Kielen zu erkennen, das hier das Gebiss eines Fleischfressers am Werk war. Von Fleisch und Knochen dagegen keine Spur. Auch Tiger gehen beim Verspeisen von Vögeln entsprechend vor.

„Mein“  Tiger schnappte sich sein aus Tierschutzgründen bereits totes Huhn und legte es vor sich auf einen flachen Felsen. Nach den Überresten zu schliessen offenbar sein „Fressplatz“. Mit einer Pranke hielt er den Kadaver fest, ehe er sich an das Fleddern machte. Den Flügel des Huhns aufspannend biss er ins Gefieder und riss energisch ein erstes Büschel Federn aus dem Fleisch, um gleich nochmals nachzugreifen. Offenbar kitzeln Hühnerfedern ausserordentlich die sensiblen Schnurrhaare, jedenfalls kräuselte sich Tigers Nase und mit diesem grimmigen Ausdruck im Gesicht spukte er die Federn auch schon aus. Mit der Zunge leckte er den ganzen Rachen aus, auf dass auch ja nix die Mundschleimhaut irritiere. So ging das keine 5 Minuten, wobei das Hühnchen mehrmals umgedreht und von neuem festgehalten wurde mit dem Gewicht der imposanten Vorderpfoten.

Am Ziel angelangt verputzte der Tiger das Hühnchen nahezu als Ganzes. Knochensplittern, Zähneklacken – und weg war’s. In Katzenmanier schlechte sich der Tiger seine Lefzen, feuchtete mit seiner rosa Zunge die Linke Vorderpfote an und fuhr sich sorgfältig durch die Schnurrhaare. Dann stolzierte er majestätisch in den Schatten, wo er sich auf seinen Bauch legte und offenbar seinen Verdauungsschlaf antrat.