Rostroter Drachen

Rotmilan © P. SchuetzSeit wenigen Jahrzehnten breitet sich der Rotmilan zunehmend im Schweizer Mittelland aus. Als grösster Vogel dieser Gegend, ist Mister Gabelschwanz eine auffällige Erscheinung und seine Ausbreitung schreitet voran. Die Lufthochheit vor unserem Zuhause im Knonauer Amt ist umkämpft. Raben, Elstern und Turmfalken streiten darum, wer die besten Sitzwarten – z.B. auf den Kaminen oder den Firstziegeln der benachbarten Dächer – einnehmen darf. Den Rotmilanen, die regelmässig vor dem Haus kreisen, sind diese anthropogenen Strukturen egal. Sie interessieren sich alleine für die Weiden und Felder, auf denen es Mäuse zu holen gibt und die Wipfel alter Bäume, in denen aktuell Wolken von Staren, die sich immer noch gruppieren für die Reise in ihre Winterquartiere, gesammelt haben.

Rotmilane sind beeindruckende Greifvögel, alleine schon ihrer Grösse wegen. Dank ihrer auffälligen Silhouette, die durch den tief eingeschnittenen Gabelschwanz und zu schwarzen Fingern auslaufenden Flügeln unverkennbar ist, bemerkt man sie bereits aus grosser Distanz am Himmel. Ihr Gefieder ist verhältnismässig bunt: der graue Kopf mit dem gelben Hackenschnabel kontrastiert zum rostroten Körper. Im Flug sieht man, dass auch die Flügelunterseiten hell gefärbt sind. Red Kites, rote Drachen, nennt man diesen Vogel im angelsächsischen Sprachraum treffend. Und schliesslich ist auch ihr Ruf, ein lang gezogenes klagendes Pfeifen, dass durch zwei drei kürzere Rufe unterbrochen wird,  einprägsam, weil unverwechselbar.

In einzelnen Gemeinden des Mittellandes findet vor allem jetzt im Herbst und auch währnd der Wintermonate all’abentlich etwas Besonderes statt: Bisweilen Duzende, manchmal sogar gegen 100 Individuen lassen sich im gleichen Baum nieder, um gemeinsam die Nacht zu verbringen. Dieses Verhalten ist nicht einfach zu erklären, Denn Rotmilane bleiben zwar im ganzen Jahresverlauf mit ihrem Brutpartner zusammen (bisweilen gar ein Leben lang), attakieren aber insbesondere während der Brut ihresgleichen. Nichtbrüter und territoriale Einzelvögel sind nicht gesellig. Auch ist es schwierig, einen solchen Adultvogel zu überwältigen. Viel häufiger kommt es  dagegen vor, dass ähnlich grosse Greifvögel wie Habichte oder z.B. in Gruppen zusammengeschlossene Rabenvögel einem Rotmilan die Beute streitig machen. Die Schlafkolonie, insbesondere während des Übernachtens in einem kahlen Baum, leistet Gewähr, dass immer jemand die Augen offen hält und ist wohl einfach sicherer als alleine zu nächtigen.

Solche Ansammlungen von Rotmilanen sind heute auch tagsüber mancherorts zu beobachten. Meist sind sie künstlich bedingt. Denn es gibt Vogelfreunde, die diese Vögel füttern. So leichte “Beute”, wie vom Mensch ausgebrachte Schlachtabfällen oder gar extra gekauftes Frischfleich, wird fast immer angenommen. Dass Konflikte unter zweibeinigen Artgenossen nicht lange auf sich warten lassen, ist nachvollziehbar, wenngleich erstaunt, zu was für Mitteln dabei gegriffen wird. Solche Unterstützung braucht der Rotmilan nicht. Denn die Art breitet sich nach wie vor aus, in der Schweiz. Im Rahmen einer Doktorarbeit wird an der Vogelwarte aktuell untersucht, warum dem so ist. Ich bin schon gespannt auf die Ergebnisse!

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